6. Oktober 2023

„Herr, sei gelobt durch Schwester Sonne …“

In fast allen pädagogischen Ratgebern steht es drin: „Loben Sie!“ Einer hat das schon vor Jahrhunderten getan – aus gutem Grund. Was er alles lobenswert findet, überrascht.

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„Herr, sei gelobt durch Schwester Sonne …“

Die meisten Menschen freuen sich, wenn sie scheint, die Sonne. Die Stimmung ist oft eine bessere als wenn es regnerisch ist, neblig und frisch. Ohne die Sonne gäbe es kein Leben hier auf der Erde. Weil es kalt bliebe, „wüst und leer“ (vgl. Gen. 1, 2 in der Bibel). Zudem bliebe es finster, wenn weder Mond noch Sterne die Nacht erhellen würden. Und jetzt?

„Herr, sei gelobt durch Schwester Sonne …“

Der heilige Franziskus hat seine Freude an der Schöpfung Gottes in seinem „Sonnengesang“ in Worte gefasst. Seine große Dankbarkeit ausgesprochen dem gegenüber, der alles gemacht hat. Gott gelobt für die Sonne, den Mond und die Sterne. Für den Wind, für das Wasser, das Feuer und für die Erde, die er „Mutter“ nennt. Die zuvor Genannten spricht er als „Schwester“ oder als „Bruder“ an. Mancher mag lächeln über die teilweise rührende Naivität des Armen aus Assisi nicht nur Gott gegenüber. Franziskus war mehr als ein weltfremder Schwärmer, der die oft harte Wirklichkeit in seinem Überschwang ausgeblendet hat.

„Herr, sei gelobt durch Schwester Sonne …“

Als es ihm alles andere als gut ging, im Winter 1224/25, zwei Jahre vor seinem Tod, verfasste Franziskus, geschwächt durch vielerlei Krankheiten und fast blind, in einer Hütte im Garten des Klosters San Damiano, unweit seiner Heimatstadt Assisi in Umbrien Strophe für Strophe seines „Cantico delle Creature“. Jenes Loblied der Geschöpfe, das im deutschen Sprachraum als „Sonnengesang“ bezeichnet wird. „Hinter der Wolken scheint tagsüber immer die Sonne,“ behaupten manche. Sie mögen Recht haben. Doch wie geht es mir, wenn es für mich gerade trüb und wolkenverhangen ist? Wenn ich keinerlei Grund dafür sehe, meinen Schöpfer überhaupt noch zu loben?

„Herr, sei gelobt durch Schwester Sonne …“

Am Franziskustag, am 04. Oktober, veranstalteten wir in der St. Franziskus-Grundschule einen Projekttag für unsere Schülerinnen und Schüler. Zu jenem Text, den dieser Heilige verfasst hatte. Neben dem oben Angedeuteten, haben wir auch jene beiden letzten Strophen bei der Stationsarbeit berücksichtigt, die ebenfalls zu diesem Loblied gehören: „Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen und Krankheit ertragen und Drangsal. Selig jene, die solches ertragen in Frieden, denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt.“ „Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, den leiblichen Tod; ihm kann kein Mensch lebend entrinnen. Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben. Selig jene, die er findet in deinem heiligsten Willen, denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.“ Darf ich das Lernenden aus den ersten bis vierten Klasse und ebenso den Lehrenden und Unterstützenden in dieser schonungslosen Deutlichkeit zumuten?

„Herr, sei gelobt durch Schwester Sonne …“

Das „Wie“ ist in diesem Zusammenhang wesentlich. Auch die Mädchen und Jungen unserer Schule leben wie alle Anderen auch nicht auf einer „Insel der Seligen“. Sondern in der Wirklichkeit, die so ist, wie sie ist. Es ist nicht jeden Tag sonnig und warm. Wo Menschen zusammeneben und -arbeiten, bleiben Konflikte nicht aus. Ohne echte Vergebung geht nichts. Beziehungen zerbrechen und erkalten. Wer krank wird und Schmerzen hat, kommt schneller an ihre oder seine Grenzen als ihr oder ihm lieb ist. Wer sich unerwartet und überraschend mit dem Tod konfrontiert sieht – und sei es „nur“ der eines geliebten Haustieres: Solche Menschen können oder wollen Gott nicht mehr loben. Für manche von ihnen ist im wahrsten Sinn des Wortes die Sonne untergegangen. Finsternis regiert. Und jetzt?

„Herr, sei gelobt durch Schwester Sonne …“

Dass Leben – auch meins – endlich ist, wissen Kinder rasch. Hinzukommt, dass niemand weiß, wann und wie mein Ende hier auf Erden aussieht. Das kann mich verzweifeln lassen. Oder ich versuche, aus dem Gegebenen herauszuholen was geht. Getrieben von der Sorge, doch etwas zu verpassen oder mir einen Genuss aus welchem Grund auch immer nicht gönnen zu können. „Hätte ich doch …“ Satzanfänge wie diese habe ich zu oft gehört. Ich kann dem nachtrauern, was ich versäumt oder nicht getan habe. Ändern kann ich heute daran nichts mehr. Alternativ dazu kann ich mich wie Franz von Assisi „mit ganzem Herzen und ganzer Seele“ (vgl. 1 Chr. 15, 12 in der Bibel) über das freuen, was ist. Sogar über Kleinigkeiten, die anderen gar nicht mehr auffallen. Über das, was selbstverständlich scheint, es aber nicht ist. Was ich liebenswert und schön finde, was mein Leben bereichert. Sogar dann, wenn die Sonne nicht scheint. Gelebt wird immer. Ich frage mich nur: Wie? Möglicherweise geht es leichter, wenn ich dabei nicht vergesse, meinem Schöpfer dankbar zu sein. Ihn immer wieder zu loben. Für die Wunder seiner Schöpfung. Für mein Leben. Sogar für Krankheit und den Tod. Franziskus glaubt fest daran, dass nach dem irdischen Leben ein ganz anderes, ein freieres, ein friedvolleres folgt. Bei dem, der ihn und alles geschaffen hat. Dafür lobt er Gott.

Br. Clemens Wagner ofm, Schulseelsorger

 

Das Bild „Lob der Sonne“ wurde gestaltet von einem Schulkind aus der St. Franziskus-Grundschule.